Eine Seite, Eine Geschichte

Wohin?

Der Regen prasselte gegen die Fensterscheibe. Ihr Blick war starr in die Ferne gerichtet. Es kam ihr vor, als hätte sie etwas Wichtiges vergessen. Etwas sehr Wichtiges. Etwas, das man nicht einfach so vergessen durfte.

Angestrengt dachte sie nach. Das leise Prasseln des Regens war dabei ein angenehmes Hintergrundgeräusch. Sie liebte das Prasseln des Regens. Hatte es immer schon geliebt. Es gab ihr das Gefühl zuhause zu sein. Bei ihren Eltern und ihren Geschwistern, im Haus auf dem Hügel. Nicht hier. In diesen Mauern, die sie nicht wiederkannte. Voll mit Bildern von Menschen, die sie nicht kannte.

Sie war nicht allein in diesem Haus. Da war ein Mann. Er war alt, aber nett und er erzählte ihr Geschichten. Geschichten, die sie zum Lachen brachten und manchmal auch zum Weinen. Manchmal weinte sie auch weil … weil … wegen etwas anderem. Aber der Gedanke war ihr soeben entwischt.

Sie blickte von der Fensterscheibe weg, als sie Schritte hörte. Der Mann kam ins Zimmer und lächelte sie an. Er sah traurig aus, obwohl er lächelte. Warum wohl?
“Hast du Hunger, Schatz?”, fragte er und beim letzten Wort brach seine Stimme. Er schluckte.

Hunger. Sie hatte tatsächlich Hunger. Aber der offensichtliche Kummer im Gesicht des Mannes, vertrieb alle Gefühle an warmes, leckeres Essen, die sie soeben gehabt hatte.

Hatte sie genickt? Sie war sich nicht sicher. Der Mann im Zimmer trat hinter sie und schob den Rollstuhl aus dem Raum.

“Wohin gehen wir?”

“Wir gehen etwas essen, weisst du nicht mehr?”

Essen klang gut. Sie hatte Hunger. Aber da war etwas, dass ihr keine Ruhe liess.

“Wer bist du?”

“Ich bin es, mein Schatz. Dein Mann.”

Die Worte waren leise und trotzdem konnte sie sie sehr gut hören. Sie hatte gute Ohren. Für einen Augenblick weiteten sich ihre Augen, als sie sich an alles erinnerte. An den Mann, hinter ihr, wie sie sich gegenseitig das Ja-Wort gegen hatten, an ihre Kinder und Enkelkinder, die in diesem, ihrem Haus schon gespielt und gelacht hatten.

“Wohin gehen wir?

“Wir gehen etwas essen.”

Das war gut. Sie hatte wirklich grossen Hunger.

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